Eine kleine Seele – Teil 2

By on 19. Dezember 2018, in Kurzgeschichten

Zu Teil 1

„Hey!“ rief die kleine Seele und tanzte, hüpfte und lachte voller Freude. „Ich kann also so besonders sein, wie ich will!“

„Ja, und du kannst auch sofort damit anfangen“, sagte Gott, und tanzte, hüpfte und lachte mit der kleinen Seele. „Wie möchtest du denn besonders gerne sein?“

„Was meinst du mit wie?“ fragte die kleine Seele. „Das verstehe ich nicht…“

„Nun, das Licht zu sein bedeutet, etwas Besonderes zu sein. Und das kann sehr viel bedeuten. Es ist etwas Besonderes, freundlich zu sein. Es ist etwas Besonderes, sanft zu sein. Es ist etwas Besonderes, schöpferisch zu sein. Es ist etwas Besonderes, geduldig zu sein. Fallen dir noch andere Dinge ein, mit denen man etwas Besonderes sein kann?“

Die kleine Seele sass einen Moment lang ganz still da. Dann rief sie: „Ja, ich weiss eine ganze Menge anderer Dinge, mit denen man etwas Besonderes sein kann! Es ist etwas Besonderes, hilfreich zu sein. Es ist etwas Besonderes, rücksichtsvoll zu sein, und es ist etwas Besonderes, miteinander zu teilen!“

„Ja“, stimmte Gott zu, „und all das kannst du jederzeit auf einmal sein – oder auch nur ein Teil davon. Dies ist die wahre Bedeutung davon, Licht zu sein.“

“Ich weiss, was ich sein will! Ich weiss, was ich sein will!“ rief die kleine Seele ganz aufgeregt „Ich möchte der Teil des Besonderen sein, den man ‚Vergebung’ nennt. Ist zu vergeben nicht etwas Besonderes?“

„Oh ja!“ versicherte Gott der kleinen Seele. „Dies ist etwas ganz Besonderes!“

„In Ordnung!“ sagte die kleine Seele. „Das ist es, was ich sein will. Ich möchte Vergebung sein. Ich möchte mich selbst als genau das erfahren.“

„Gut“, sagte Gott, „doch da gibt es noch eine Sache, die du wissen solltest.“

Die kleine Seele wurde langsam etwas ungeduldig. Immer schien es irgendwelche Schwierigkeiten zu geben. „Was denn noch?“ stöhnte sie.

“Es gibt keinen, dem du vergeben müsstest.“

„Keinen?“ Die kleine Seele konnte kaum glauben, was Gott da sagte.

„Keinen!“ wiederholte Gott. „Alles, was ich erschaffen habe, ist vollkommen. Es gibt in meiner ganzen Schöpfung keine einzige Seele, die weniger vollkommen wäre als du. Schau dich doch mal um.“

Da sah die kleine Seele, dass viele andere Seelen sich um sie herum versammelt hatten. Sie waren von überall her aus dem Himmelreich gekommen. Es hatte sich nämlich herumgesprochen, dass die kleine Seele eine ganz besondere Unterhaltung mit Gott führte, und jede Seele wollte hören, worüber die beiden sprachen. Als die kleine Seele die unzähligen anderen Seelen betrachtete, musste sie zugeben, dass Gott Recht hatte. Keine von ihnen war weniger schön, weniger strahlend oder weniger vollkommen als sie selbst. Die anderen Seelen waren so wundervoll, ihr Licht strahlte so hell, dass die kleine Seele kaum hinsehen konnte.

“Wem willst du nun vergeben?“ fragte Gott.

„Au weia, das wird aber wenig Spass machen!“ brummte die kleine Seele vor sich hin. „Ich möchte mich selbst als jemand erfahren, der vergibt. Ich hätte so gerne gewusst, wie man sich mit diesem Teil des Besonderen fühlt.“ Und so lernte die kleine Seele, wie es sich anfühlt, traurig zu sein.

Doch da trat eine freundliche Seele aus der grossen Menge hervor. Sie sagte: „Sei nicht traurig, kleine Seele, ich will dir helfen.“

„Wirklich?“ rief die kleine Seele. „Doch was kannst du für mich tun?“

„Ich kann in dein nächstes Erdenleben kommen und dir etwas antun, damit du mir vergeben kannst.“

„Aber warum willst du das für mich tun?“ fragte die kleine Seele. „Du bist doch ein vollkommenes Wesen! Deine Schwingungen sind so hoch, und dein Licht leuchtet so hell, dass ich dich kaum anschauen kann! Was bringt dich bloss dazu, deine Schwingungen so zu verringern, dass dein Licht dunkel und dicht wird? Du bist so licht, dass du auf den Sternen tanzen und in Gedankenschnelle durch das Himmelreich sausen kannst. Warum solltest du dich so schwer machen, um mir in meinem nächsten Leben etwas Böses antun zu können?“

Zu Teil 3

 

 

(Quelle: Neale Donald Walsh)

 

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