Ich will so bleiben, wie ich bin

By on 14. Dezember 2018, in Kurzgeschichten

Jakob war in letzter Zeit sehr niedergeschlagen. Früher war der Junge immer fröhlich, er sang lauthals auf dem Weg zum Schulbus und war immer zu einem kleinen Schwatz aufgelegt. Aber in den vergangenen Wochen sah sie ihn meist still und langsam an ihrem Haus vorbeilaufen.

Eines Tages fragte sie ihn, wo denn seine gute Laune abgeblieben sei.

Er antwortete erst gar nicht, dann aber erzählte er doch, dass er das Gefühl habe, er könne es niemandem Recht machen und auf ihre Nachfrage sagte er: „In der Schule mahnen mich die Lehrer dauernd. Sie wüssten genau, ich könnte mehr leisten und sei doch ein ganz Schlauer, ich müsste es nur zeigen. Mich mehr beteiligen, mich mehr anstrengen. Meine Klassenkameraden nerven am laufenden Band, weil ich keine modischen Klamotten anhabe und machen sich lustig. Mein bester Freund findet mich gerade blöd, weil mich Fussball halt so gar nicht interessiert. Und meine Eltern meckern rum, weil ich nicht in einem Verein und zu viel in meinem Zimmer bin. Das macht mich ganz irre. Und aggressiv. Was wollen die alle von mir? Können die mich nicht in Ruhe lassen? Was soll ich denn alles an mir ändern? Muss ich in Nikes mit Vokalbelkarten in der Hand auf so ein bescheuertes Tor schiessen, damit mich die anderen OK finden?“

„Ups“, antwortete sie, „da prasseln ja eine Menge Wünsche auf dich nieder. Da kann man sich selbst schon mal verlieren.“

„Genau, dabei finde ich mich ganz ok so, wie ich bin. Aber vielleicht haben die anderen ja doch Recht und ich muss da was ändern…“

„Ich will dir mal von meinem letzten Besuch im Zoo erzählen“, sagte sie. „Besonders lange habe ich mir die Krokodile angeschaut. Die erstaunen mich schon sehr. Sie sind so alt und urtümlich. Sie haben sich seit ihrer Entstehung nur wenig verändert. Wenn man das bedenkt, sind sie ziemlich gut durch die Jahrtausende gekommen, denkst du nicht? Das Krokodil hat sich nur da angepasst, wo es wirklich wichtig war. Die meisten leben im Süsswasser, können aber auch im Meer überleben. Ihr Körper ist perfekt auf die Bedürfnisse von Amphibien abgestimmt, trotzdem können sie mit ihren kurzen Beinen und dem schweren Körper an Land schneller laufen, als ein Mensch rennen kann. Wenn man sie da so bewegungslos liegen sieht, machen sie ja nicht gerade den intelligentesten Eindruck aber die Forscher haben herausgefunden, dass sie doch ganz schön schlau sind. Und sie werden ziemlich alt, ein Zeichen dafür, dass sie nicht allzu viele Fehler in ihrem Leben begehen. Sie können ihr Verhalten an veränderte Lebensumstände anpassen, machen das aber nur in dem Mass, wie es wirklich wichtig ist. Sie sehen ja nicht gerade hübsch aus, aber spannende Tiere sind sie schon…“

Sie plauderten dann noch ein bisschen über Tiere im Allgemeinen und Jakobs Hund im Besonderen.

Und in den nächsten Tagen hörte sie ihn ab und an wieder singen…

 

(Quelle: www.mentalpotential.de/neue-geschichten.html)

 

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