Narzissmus – Das innere Gefängnis

By on 22. November 2015, in Buchtipps

In diesem Buchtipp – und in jenem von nächster Woche – geht es um Bücher, welche in den Persönlichkeitsentwicklungsseminaren, die ich besuche, empfohlen werden. Die Inhalte dieser Bücher sind für mich sehr wertvoll und haben mich persönlich jeweils weiter gebracht in Bezug auf die Fragen «Wer bin ich? Und wer will ich sein?».

Der Autor Heinz-Peter Röhr ist Psychotherapeut, der seit über dreissig Jahren an der Fachklinik Fredeburg für Suchtmittelabhängige tätig ist. All seine Bücher gehören in die Kategorie der Bibliotherapie, also dem «Gesundwerden durch Bücher». Ich finde er leistet damit einen grossartigen Beitrag zum Verständnis psychischer Störungen und hilft damit auch, das eigene Leben bewusster leben zu können. Er selbst sagt, dass Bibliotherapie ein guter Weg sein kann, das eigene Leben besser zu verstehen.

In «Narzissmus – Das innere Gefängnis» veranschaulicht Heinz-Peter Röhr anhand der Märchendeutung des Prinzen im Eisenofen der Brüder Grimm die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Er beschreibt, wie es zu diesem Überlegenheitsgefühl kommen kann und zeigt auf, woran man Narzissmus erkennt und welche Konsequenzen dieses Verhalten für die Person selbst, aber auch für die Mitmenschen hat und wie man damit umgehen kann.

Was ist denn Narzissmus eigentlich genau?
«Narzissmus bedeutet Selbstliebe. Jeder Mensch bentigt ein gesundes Mass an Selbstliebe. Die Fähigkeit, sich in positiver, liebevoller Weise sich selbst zuzuwenden, ist eine Voraussetzung für ein glückliches, erfülltes Leben.» Ein gewisses Mass an Narzissmus ist also durchaus gesund und wichtig. Die Frage ist aber, ab wann ist es zu viel? Von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist die Rede, wenn das Bedürfnis nach Liebe, Bewunderung und Anerkennung stark übersteigert ist. «Unter pathologischem Narzissmus ist in erster Linie eine deutliche Störung des Selbstwertgefühls zu verstehen. In der Praxis begegnen wir durchaus unterschiedlichen Schweregraden dieser Störung. Nahezu jeder Mensch hat zumindest vorübergehend Probleme mit seinem Selbstwertgefühl und trägt einen mehr oder weniger dicken Eisenpanzer. Wie sich zeigen wird, haben Menschen, die von dieser Störung betroffen sind, in ihrer frühen Entwicklung zu wenig wirkliche Liebe erfahren.» Das Manual zur Diagnose psychischer Störungen (DSM-IV) beschreibt die narzisstische Persönlichkeitsstörung als ein tief greifendes Muster von Grossartigkeit, Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Empathie (das heisst, die narzisstische Person kann oder will die Gefühle und Bedürfnisse anderer nicht erkennen oder sich mit ihnen identifizieren). Wie gesagt, gibt es unterschiedliche Schweregrade des Narzissmus. Für zwischenmenschliche Beziehungen kann auch bereits ein weniger ausgeprägter Narzissmus hinderlich sein, ohne dass man direkt von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sprechen muss.

«Das Märchen ‹Der Eisenofen› zeigt den Weg vom falschen zum wahren Selbst, aus der kalten Einsamkeit zum warmherzigen Miteinander.» Die extreme Verletzlichkeit und die unsägliche Angst vor Kränkung des narzisstischen Menschen sind zentrale Probleme. Und gerade er muss lernen, sich kränken zu lassen, um seiner wahren Persönlichkeit näherzukommen! Oft ist der Mensch im Eisenofen jemand, der austeilen kann, in dem Sinne, dass er nicht zimperlich mit Kritik an anderen ist. Sein abwertendes und verletzendes Verhalten schafft Distanz und vermittelt ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Aber selbst Kritik an der eigenen Person ertragen – das nie und nimmer! Er sitzt im Elfenbeinturm und leidet tief im Innern an seiner Einsamkeit. Kontakt entsteht aber erst, wenn er sich auf andere einlässt und seine Angst vor Kränkung überwindet. Das Ziel ist, dass der narzisstische Mensch seine Gefühle frei zum Ausdruck bringen kann, Ärger und Wut, ebenso wie Schmerz und Trauer.

Narzissmus ist in unserer Gesellschaft eine weit verbreitete Persönlichkeitsstörung. «Fast alle Menschen in den westlichen Industrienationen haben Eisenofen-Probleme, das heisst Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, allerdings entwickelt nur ein Teil eine eigentliche narzisstische Persönlichkeitsstörung, wie sie im Märchen vom Eisenofen beschrieben ist. Dass so viele Mitglieder der westlichen Gesellschaften Probleme haben mit ihrem Selbstwertgefühl, liegt in der Tatsache begründet, dass in der westlichen Welt wichtige Symptome der narzisstischen Störung fast unvermeidbar entwickelt werden müssen, wenn man in ihr die Karriereleiter hochklettern oder auch nur den Arbeitsplatz erhalten will.» Viele von uns haben gelernt, ihre Gefühle abzuspalten und werden in der Arbeitswelt dafür belohnt. «Die Sucht, ein krankhafter Ehrgeiz nach Macht, ist ein verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft. Gerade Menschen mit Eisenofen-Syndrom streben in Positionen, die eine Zufuhr von Bewunderung und Überlegenheitsgefühl vermitteln. Da dies auf dem Hintergrund ihrer emotionalen Defizite geschieht, ist es ein bedenklicher Vorgang, dass gerade Manager, Politiker, Führungskräfte und Funktionäre, die in diese Rollen streben, oft an dem Eisenofen-Syndrom leiden.» Heinz-Peter Röhr beschreibt gegen Ende des Buches, welche Folgen diese narzisstische Gesellschaft für unsere Arbeitswelt und unsere Erde haben kann und gibt hilfreiche Tipps, wie man beispielsweise mit einem narzisstisch veranlagten Vorgesetzten umgehen kann.

«Narzissmus – Das innere Gefängnis» ist ein sehr hilfreicher und aufschlussreicher Ratgeber. Heinz-Peter Röhr vermittelt den Narzissmus mit Hilfe der Märchendeutung auf eine gut verständliche und einleuchtende Weise und bietet damit die Möglichkeit, sich selbst und seine Mitmenschen besser zu verstehen.

Ramona

 

 

Röhr, H.-P. (2013). Narzissmus – Das innere Gefängnis (12. Auflage). München: Deutscher Taschenbuch Verlag. ISBN 978-3-423-34166-0.

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