Eine kleine Seele – Teil 3

By on 20. Dezember 2018, in Kurzgeschichten

Zu Teil 2

«…Warum solltest du dich so schwer machen, um mir in meinem nächsten Leben etwas Böses antun zu können?“

«Ganz einfach!“ sagte die freundliche Seele. „Weil ich dich lieb habe!“

Diese Antwort überraschte die kleine Seele.

„Du brauchst nicht erstaunt zu sein“, sagte die freundliche Seele. „Ich werde in dein nächstes Erdenleben kommen und der Bösewicht sein. Ich werde dir etwas Schreckliches antun, und dann kannst du dich als jemand erfahren, der vergibt.“

“Aber was wirst du tun?“ fragte die kleine Seele, nun doch etwas beunruhigt. „Was wird denn so schrecklich sein?“

„Oh“, sagte die freundliche Seele mit einem Lächeln, „uns wird schon was einfallen!“ Dann wurde die freundliche Seele sehr ernst und sagte mit leiser Stimme: „Weisst du, mit einer Sache hast du vollkommen recht gehabt.“

„Mit was denn“, wollte die kleine Seele wissen.

„Ich muss meine Schwingung sehr weit herunterfahren und sehr schwer werden, um diese schreckliche Sache tun zu können. Ich muss so tun, als ob ich jemand wäre, der ich gar nicht bin. Und dafür muss ich dich um einen Gefallen bitten.“

„Du kannst dir wünschen, was du willst!“ rief die kleine Seele, sprang umher und sang: „Hurra, ich werde vergeben können! Ich werde vergeben können!“ Da bemerkte die kleine Seele, dass die freundliche Seele sehr still geworden war. „Was ist? Was kann ich für dich tun?“ fragte die kleine Seele. „Du bist wirklich ein Engel, wenn du diese schreckliche Sache für mich tun willst!“

Da unterbrach Gott die Unterhaltung der beiden Seelen: „Natürlich ist diese freundliche Seele ein Engel! Jedes Wesen ist ein Engel! Denke immer daran: Ich habe dir immer nur Engel geschickt!“

Die kleine Seele wollte doch so gern den Wunsch der freundlichen Seele erfüllen und fragte nochmals: „Sag schon: Was kann ich für dich tun?“

Die freundliche Seele antwortete: „In dem Moment, in dem wir aufeinandertreffen und ich dir das Schreckliche antue – in jenem Moment, in dem ich das Schlimmste tue, was du dir vorstellen kannst, also in diesem Moment…“

„Ja?“ sagte die kleine Seele, ja…?“

Die freundliche Seele wurde noch stiller: „…denke daran, wer ich wirklich bin!“

„Oh, das werde ich bestimmt!“ rief die kleine Seele. „Das verspreche ich dir! Ich werde mich immer so an dich erinnern, wie ich dich jetzt hier sehe!“

„Gut!“ sagte die freundliche Seele. „Weisst du, ich werde mich so verstellen müssen, dass ich mich selbst vergessen werde. Und wenn du dich nicht erinnerst, wie ich wirklich bin, dann werde ich mich selbst für eine sehr lange Zeit auch nicht daran erinnern können. Wenn ich vergesse, wer ich bin, dann kann es passieren, dass auch du vergisst, wer du bist. Und dann sind wir beide verloren. Dann brauchen wir eine weitere Seele, die in unser Leben kommt und uns daran erinnert, wer wir wirklich sind.“

Doch die kleine Seele versprach noch einmal: „Nein, wir werden nicht vergessen, wer wir sind! Ich werde mich an dich erinnern! Und ich werde dir sehr dankbar dafür sein, dass du mir dieses grosse Geschenk machst – das Geschenk, dass ich erfahren darf, wer ich wirklich bin.“

Und so schlossen die beiden Seelen ihre Vereinbarung. Die kleine Seele begab sich in ein neues Erdenleben. Sie war ganz begeistert, dass sie das Licht war, das so besonders ist, und sie war so aufgeregt, dass sie jener Teil des Besonderen sein durfte, der ‹Vergebung› heisst. Sie wartete begierig darauf, sich selbst als Vergebung erfahren zu können und der anderen Seele dafür danken zu dürfen, dass sie diese Erfahrung möglich gemacht hat.

Und in jedem Augenblick dieses neuen Erdenlebens, wann immer eine neue Seele auftauchte, ob sie nun Freude oder Traurigkeit brachte – natürlich besonders, wenn sie Traurigkeit brachte – fiel der kleinen Seele ein, was Gott ihr einst mit auf den Weg gegeben hatte:
„Denke stets daran“, hatte Gott mit einem Lächeln gesagt, „ich habe dir immer nur Engel geschickt!“

 

(Quelle: Neale Donald Walsh)

 

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